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Vom leichtfüßig Improvisierenden zum Weitblick beweisenden Organisator – vom hedonistischen Lebemann zum disziplinierten und Disziplin fordernden Menschenführer – vom draufgängerischen Jagdflieger im Krieg zum verantwortungsbewussten Kommandierenden General der Luftflotte im Frieden – von Ostpreußen über die USA ins Nordrhein-Westfälische Neunkirchen-Seelscheid – Walter Krupinskis Lebensweg war gekennzeichnet von Brüchen. Im konkreten und im übertragenen Sinn: Am Anfang seines Jagdfliegerdaseins wog die Anzahl der von ihm zu Schrott geflogenen Flugzeuge diejenige seiner Abschüsse auf, am Ende seines Soldatenlebens brach ihm ein einstiger Stuka-Flieger das berufliche Genick.
Auf mehr als 300 Seiten schildert Kurt Braatz den Lebensweg eines Mannes, der den Zusammenbruch des Deutschen Reiches, das anschließende Zerbrechen der alliierten Koalition, die Spaltung Deutschlands in zwei Staaten sowie der Welt in zwei politische Lager nicht nur miterlebte, sondern selbst ein Rad im Uhrwerk dieser „Zeitläufte“ war. Um dies darstellen zu können, gewährte Ilse Krupinski erstmals Einblick in die privaten Aufzeichnungen ihres vor mittlerweile zehn Jahren verstorbenen Gatten; zusätzlich trug Braatz in jahrelanger Recherche eine Fülle an ergänzenden Details und Informationen zusammen, die den Menschen Walter Krupinski plastisch vor Augen führen, eingebunden in das vielschichtige Hintergrundgeschehen seiner Zeit.
Mit einem feinen Gespür für Ambivalenz zeichnet Braatz ein facettenreiches Portrait Krupinskis und seines militärischen Lebensweges in Krieg und Frieden nach.
Dieser begann bei der 6./JG 52, führte „Graf Punzki“ von der Ostfront über die Reichsverteidigung sowie die Schlachtfelder
der Normandie bis zum JV 44, sah ihn nach dem Krieg zunächst im Dienst der „Organisation Gehlen“, beim Aufbau der Bundeswehr, als Kommodore des ersten für einen Atomkrieg ausgerüsteten Jagdbomber-Geschwaders der Bundesluftwaffe, als Chief of Staff der 2. ATAF, und schließlich als Kommandierenden General der Luftflotte. – Ein Leben … Zeitgeschehen … Zeitgeschichte – Braatz ermöglicht jeweils auch einen Blick hinter die Kulissen.
Darüber hinaus ist das neue Buch aus dem Verlag NeunundzwanzigSechs weit mehr als eine weitere meisterlich erzählte Biografie. Anhand von Krupinski, der nie ein Blatt vor den Mund nahm, wenn es darum ging, seine Meinung zu vertreten, und anderen Führungspersönlichkeiten, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, wird deutlich, wie eine ausgeprägte Persönlichkeit mit ihrem individuellen Charakter, ihren jeweiligen Stärken und Schwächen, das sie umgebende komplexe Geflecht aus Zwischenmenschlichem und Politik beeinflussen kann. Im positiven wie auch im negativen Sinne. Aber auch, wie ohnmächtig sie genau diesem Geflecht ausgeliefert werden kann.
Ende der 1980er Jahre schrieb Walter Krupinski: „Meine Überzeugung, dass ich etwas zu sagen habe, kommt aus dem Gefühl, dass wir alle viel zu wenig die Erfahrungen der Vergangenheit nutzen, das immer wiederkehrende Spiel der Geschichte nicht erkennen und mit viel Blut, Schweiß und Tränen in mehr oder weniger kurzen Perioden wiederholen, was wir dann eine Katastrophe nennen.“
Er selbst scheiterte an dem Versuch, seine vielschichtigen Lebenserinnerungen aufzuschreiben. – Kurt Braatz hat es nun für ihn getan.
Peter Cronauer